Wolfgang Nieschalk
        "Wer handelt, kann Fehler machen. Wer nicht handelt, hat bereits einen Fehler gemacht."

Ein Vergleich

"Gut, dass nur Corona uns heimsucht und nichts Schlimmeres", meinte ein Bekannter, den ich im Supermarkt traf. "Unsere Pandemie mit ihren Einschränkungen ist unbequem, aber harmlos gegen das Grauen, dass die Menschen in den Jahren 1347 bis 1352 durch die Pest heimsuchte."

Neugierig geworden suchte ich zuhause nach Überlieferungen und schnell wurde mir klar, dass es Parallelen, aber auch Unterschiede zur Gegenwart gibt. Den Erreger unserer Pandemie kennen wir. Die Menschen von damals den ihren aber nicht und nur deshalb konnte die Epidemie so furchtbar wüten. Sie glaubten, die Pest sei von Gott geschickt - so wie die zehn ägyptischen Plagen. Die Reaktionen waren unterschiedlich. Viele veranstalteten ein letztes Gelage. Oft in den Häusern, deren Besitzer schon unter der Erde lagen und folgten ihnen schon am nächsten Tag. Andere hofften, sich durch den Verlust aller leiblichen Genüsse freikaufen zu können oder legten ihre Kostbarkeiten vor die Altäre der Kirchen. Draußen zogen in langen Zügen Flagellanten vorbei, die sich Brust und Rücken mit Geißeln peitschten und hofften, eine höhere Macht möge erkennen, dass sie genug gelitten hätten und sie vor dem Ende bewahre. Nichts half. Schon Stunden oder Tage darauf war ein Drittel oder mehr der Menschen tot.

Die Ärzte waren ratlos. Nicht ahnend, was den Tod brachte verschrieben sie Einläufe oder ließen die Kranken zur Ader. Selbst jene Ärzte, die mit Schutzanzug und Vogelmaske versehen Krankenbesuche machten, starben oft noch vor ihren Patienten. Kein Wunder, dass viele von ihnen sich in Wäldern versteckten, um nicht zum Behandeln gezwungen zu werden. Andererseits stand in Marseille der Arzt William Grisant während der ganzen Epidemie den Kranken bei - und infizierte sich nicht. Der französische Chirurg Guy de Chauliac steckte sich zwar an, überstand aber die Krankheit und schrieb: "Ich harrte aus, um nicht Schande auf mich zu laden, aber ich tat es in ständiger Furcht."     

Hätten die Menschen damals gewusst, dass die Seuche durch Tröpfcheninfektion oder Flöhe ausgelöst wurde - sie hätten sich wehren können. Haupt Überträger war der Rattenfloh, der nur dann Menschen beißt und infiziert, wenn nicht genug Ratten da sind, die er beißen könnte. In den Satteltaschen und Tuchballen der Reisenden nistend, brachte er den "Schwarzen Tod" auf den Handelswegen aus Asien von einer Station zur anderen. Schlich sich auf Schiffen und Straßen nach Europa, sprang durch geöffnete Stadttore auf menschenwimmelnde Märkte und in enge Klosterzellen. Die Franziskaner in Deutschland allein verloren über 120 000 ihrer Brüder Besonders ideale Brutstätten aber wurden die Städte mit ihren ungesunden, strohgedeckten Lehmhütten und offenen Gossen.

Das Sterben hörte erst auf, als die Pest Russland mit seinen riesigen, unbewohnten Wäldern erreichte. Nahe ihrem Ursprungsherd - Asien - erlosch die Geißel der Menschheit.

Rückblickend ist es bewundernswert, mit welcher Kraft der Mensch dem Sterben getrotzt hat. Nicht Chaos und Anarchie herrschten, sondern das Gegenteil: Mut und Anstand. Schnell nahm das Leben seinen gewohnten Lauf und wurde im Jahrhundert nach der Epidemie mit der Renaissance, der Erfindung des Buchdrucks und navigatorischen Verbesserungen für die Seefahrer zu einer der glanzvollsten Epochen der Kulturgeschichte.

Schon oft ist der Mensch durch ein Tal voller Schatten gegangen und hat es unversehrt durchschritten. Aber erst unsere heutigen Kenntnisse in Medizin und Technik geben uns die Gewissheit, dass jedes neu vor uns liegende "Schattental" zur fast bedeutungslosen Bodenwelle schrumpfen wird! 

 
 
 
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