Wolfgang Nieschalk
        "Wer handelt, kann Fehler machen. Wer nicht handelt, hat bereits einen Fehler gemacht."

Februar - Märchen der Gegensätze

Der Februar. Unwirklich kann er sein. Streng, eisig und mit scharfem Wind aus Ost, der bis ins Mark dringt und das Blut erstarren lässt. Seine Tage sind kurz, wenn auch schon viel länger als die des Januar. Und auch nicht mehr ganz so halbherzig wie im Vormonat zieht die höher steigende Sonne ihren Halbkreis aus Licht über den eisblauen Himmel. Der späte Abend aber und das Mondlicht gießen tintenfarbige Schatten über die Unmenge Schnee, die sich im Garten oder neben der Garageneinfahrt türmt. Die Nacht ist so vollgestopft mit reflektiertem Licht, dass der Himmel nur die Hälfte seiner Sterne zeigt. Wenn auch der Februar der kürzeste Monat des Jahres ist und manchmal unterschätzt wird: Er ist der kälteste Monat des Jahres und zeigt uns mit seiner Eiseskälte, wozu er fähig ist und wird dadurch zur absoluten Autorität.

Jede Jahreszeit hat ihre Geräusche. Auch wenn die Geräusche des Winters seltener geworden sind, sind sie, wenn der kälteste Monat des Jahres zeigt was er kann, erregend. Dann knirscht der Schnee unter den Schuhen, der Wind in den hohen Bäumen gegenüber stöhnt und das Eis auf dem Schlossteich ächzt. Das Dröhnen gefrorenen Wassers ist einer der kältesten Laute, die es gibt. Im Teich, im Fluss, im Kanal oder im Hafen webt die Kälte eine Eisdecke über die Landschaft, die klar ist wie Glas. Wenn die Kälte zunimmt und anhält, wird das Eis dicker und dunkler. Und wer jemals in dieser kalten Zeit auf einem eingefrorenem Boot übernachtet hat, erlebt Geräusche, wie sie urtümlicher nicht sein können. 

Er hört, wie das dicker werdende Eis mit lautem Krachen, dass an fernen Donner erinnert, an die Bordwand drückt. Er spürt die zunehmende Sorge darüber, ob das Eis die Kraft hat, den Stahlrumpf zu zerdrücken oder Außenbord Ventile abzureißen. Das Eis könnte das. Mit Leichtigkeit sogar, aber für seine Kraft ist ein Boot ein zu geringes und zu glattes Etwas. Seine Gewalt nutzt ein anderes Ventil zum Ausgleich. Wie ein Erdbeben einem Vulkanausbruch vorausgehen kann, kommt das Eis bei strenger werdender Kälte immer mehr in Bewegung. Es dehnt sich aus. Drückt gegen Ufer und gegen alles, was ihm festen, unnachgiebigen Widerstand leistet. Dann wird sein Druck übergroß. Dort, wo nichts mehr nachgeben kann, bricht es, bäumt sich auf, schiebt sich in Schollen übers Ufer und drückt das Boot wie einen Korken in die Höhe. Manchmal nur nach oben, manchmal auf die Seite. Beim Schieben und Heben der Eisfläche wird das Stöhnen, Quietschten und Donnern der Eisfläche, vom Bootskörper aufgenommen, weiter geleitet und verstärkt und schaurig, wie aus einem riesigen Lautsprecher, hörbar gemacht. In solch lauten Nächten macht jener, der in der wohligen Wärme der Heizung an Bord ausharrt und wacht, nur selten ein Auge zu.

Nach zuerst noch fahlem Sternenlicht, kommt oft beißender Wind auf und manchmal auch Schnee. Dann bekommt der Schläfer am Morgen beim Öffnen der Deckenluke einen kalten, weißen Gruß in den Kragen. Vergangenes Jahr holte der Februar nach, was er die Jahre zuvor versäumte und zu was der Januar nicht mehr fähig zu sein scheint. Massenhaft fiel die weiße Pracht vom Himmel, türmte sich über Boot und den irgendwann doch eingeschlafenen Mensch und ließ eine prachtvolle, selten gewordene Winterlandschaft zurück. Wie er sich dieses Jahr zeigen wird, bleibt abzuwarten.

Auch das ist Februar. Monat der Gegensätze. Endet er, geht die Sonne schon über zwei Stunden später unter als zur Wintersonnenwende. Die Schatten sind kürzer geworden, weil sich die Sonne aus den südlichen Tiefen wieder nach oben gearbeitet hat. Plötzlich kippt das Wetter. Eben noch herrschte bitte Kälte um Minus -20 Grad und schon eine Woche später sind daraus 20 Plusgrade geworden und Krokusse und gelbe Winterlinge schmücken ganz unverhofft den Garten. Die Unausweichlichkeit des Frühlings kündigt sich an. Die Pflanzen spüren es und die Menschen auch. Sie strömen ans Licht und in die Wärme - so wie die Blumen - und wissen, dass die Zeit des Wartens und Drinnenseins vorbei ist. Der März steht vor der Tür. Und mit ihm kommt die Arbeit. Und wie zum Lohn verzaubern schon sechs Wochen später gelbe Rapsfelder die von neuem, pulsierendem Leben erfüllte Landschaft.

 

 

 
 
 
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