Wolfgang Nieschalk
        "Wer handelt, kann Fehler machen. Wer nicht handelt, hat bereits einen Fehler gemacht."

Jeden Tag eine neue Tür.

Mein 14-jähriger Enkel gestand mir im November, dass ein Adventskalender ihn immer noch in Spannung versetzt. Die Erwartung auf die kleinen Überraschungen hinter den Türen würde sogar die trüben Dezembertage Tage aufhellen. Selbst der gefüllte Stiefel vom Nikolaus wäre nichts gegen das täglich neu zu lüftende Geheimnis der vierundzwanzig Türchen.

"Und wirst du brav und folgsam sein - erlaubt dir jetzt das Christkindlein - dass du, mein Liebling, schon vor der Zeit - schaun darfst in all die Herrlichkeit."

Mit diesem Spruch lenkte die Werbung den Blick der Kinder auf die hinter den Türchen verborgenen Geheimnisse des ersten Adventskalenders, den Georg Lang, ein Münchner Buchhändler 1908 herausbrachte. Die Gewohnheit seiner Mutter, die ihm jedes Jahr 24 Gebäckstücke an einen Karton genäht hatte, um ihm so den Advent zu versüßen, war der Auslöser. Diesen Gedanken verfolgend produzierte er den ersten Adventskalender, der von pädagogischen Überlegungen bestimmt war und ein Riesenerfolg wurde.

Mit seiner Hilfe sollte die Ungeduld der Kleinen in den Wochen vor dem Heiligen Abend gebändigt und die religiöse Besinnung gefördert werden. Sie sollten lernen, sich zu beherrschen um sich angemessen auf das Fest der Geburt Christi vorzubereiten. Das wollte er damit erreichen, indem sie jeden Tag nur ein Türchen öffnen durften.

Doch schon vor dieser Erfindung ließen sich Eltern viel einfallen, um die Spannung für die Kinder in der Vorweihnachtszeit erträglicher zu machen. Manche malten 24 Kreidestriche an die Haustür, von denen die Kinder täglich einen wegwischen durften. Andere schmückten Bäumchen mit Lichtern, von denen jeden Tag ein Licht zusätzlich angezündet wurde. Ein Brauch, der in abgewandelter Form auch an unseren Adventskränzen geübt wird, bei denen jeden Adventssonntag ein zusätzliches Licht angezündet wird.

In protestantischen Gegenden hängten Familien an jedem Tag der Adventszeit ein selbstgemaltes Bild an die Wand und lasen aus dem Weihnachts- Evangelium. Noch anders handelten die Schüler katholischer Schulen, indem sie jeden Tag im Advent einen zusätzlichen Strohhalm in eine leere Krippe legten, damit das Jesuskind am Weihnachtsabend warm und weich darin ruhen konnte.

Wie bescheiden die Ansprüche vor dieser noch gar nicht so lange zurück liegenden Zeit gewesen sein müssen auf das, was sich hinter den "Adventstürchen" verbarg, wird sichtbar, wenn man sich die Anspruchslosigkeit jener Zeit, am Heiligen Abend, ansieht. Jacob Grimm - der Ältere der Brüder Grimm - schrieb vor gut 200 Jahren:

"Welch ein feierlicher, geheimnisvoller Tag war dies für uns. Da wurden wir abgesondert, durften das mysteriöse Zimmer nicht betreten - aber wir lauschten. Endlich wurde geschellt. Den Eintretenden fiel gleich der holde Christbaum in die Augen, überhangen mit goldenen und silbernen Äpfeln, zarte Lichtlein brannten darauf. Daneben standen Teller mit Nüssen und Äpfeln und allerlei Naschbarem. Welche Freude war das - und alles war vergessen - auch unser ungeliebte Lehrer."

Adventskalender versüßen nicht nur den Kindern das Warten auf Weihnachten. Auch heute noch würde ich jeden Tag ein Türchen aufmachen. Die Schokolade würde ich - der Kalorien wegen - den Enkeln schenken. Es kommt auf die Erwartung an. Und vielleicht liegt dieses Jahr unter dem Weihnachtsbaum ein Adventskalender, auf "dessen zu öffnende Türchen" ich mich dann 11 lange Monate lang freuen kann.

So, wie in einem 14- jährigen Enkel, steckt in jedem Mann immer noch ein kleiner Junge... 

 
 
 
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