Wolfgang Nieschalk
        "Wer handelt, kann Fehler machen. Wer nicht handelt, hat bereits einen Fehler gemacht."



11/2017

Die kleinen Bäche 

Die Wolga, einen Kilometer nach der Quelle. Von dieser Stelle bis zur Mündung ins Kaspische Meer wird das Wasser ein Jahr lang unterwegs sein und gut 3650 km zurücklegen.

Jeder Bach lebt, hat seinen Charakter, seine Sprache und seine Stimmung. Jung und unreif, führen Bäche sich manchmal übermütig auf - wie ein Kind. Dann schlagen sie über die "Stränge." Doch nur, wenn sie zu sehr geformt, zu viel gegängelt, zu stark eingeengt werden. Bäche müssen atmen können - wie wir. Ihre Lunge ist die an das Bachbett grenzende Landschaft. 

Transportieren sie viel Wasser, atmen sie stärker, und wenn ihnen der Platz dazu genommen wurde, verlassen sie ihr Bett, überfluten Straßen, setzen unsere Keller unter Wasser und umfließen die ihnen von uns verordneten Brücken und Hindernisse.

So, wie im vergangenen Sommer. Doch trotz dieser seltenen Ereignisse sind Bäche ihrem Wesen nach friedlich. Nimmt man sich die Zeit, sie zu verstehen, muss man hinhören. Sie reden laut oder leise und mancher Bach, dessen Wasser sich seinen Weg im steinigen Bett sucht, klingt - wenn man genau zuhört - für manchen wie Musik. Ein Mühlenwehr verrät durch die Lautstärke des fallenden Wassers die herrschende Stimmung, welche heute wild sein kann und morgen schon zum einschläfernden Rauschen geworden ist.

Bäume reden auch viel. Oft sind sie sogar mit unseren stärksten Gefühlen verwurzelt. Unter ihrem Blätterdach ereignet sich manches, dass später zur liebsten Erinnerung wird. Aber wenn ich allein spazieren gehe, zieht es mich ans Ufer eines Baches. Dort finde ich die unaufdringliche Begleitung des Wassers, wenn es plätschernd über kleine Hindernisse springt. In dieser friedvollen Atmosphäre gedeihen flüchtige Ideen zum Projekt. Dann springt die Jugendhaftigkeit des Baches auf mich über und ich notiere in Windeseile, was mich gerade berührt.

Jeder Bach hat seine schönen Seiten. Aber ich glaube, am meisten mögen wir Wasserläufe, die wir gut kennen. Das Rinnsal zum Beispiel, in dessen fast stehendem Wasser wir als Kinder Stichlinge gefangen hatten. Das Bächlein, an dessen Sandgrund sich in glasklarer Strömung Wasserpflanzen wie Engelshaar schlängeln und den Bach, an dessen Ufer wir das erste Veilchen für die Liebste pflückten.

Die Oker als Bach, nachdem eine Staumauer ihr das Wasser verwehrt.

Mit den Wasserläufen ist es, wie mit den Menschen: Die bedeutendsten sind nicht immer die Angenehmsten! Bäche haben jenes Etwas, das man auch beim Menschen findet. Sie wecken schon durch ihre Anwesenheit und die Art sich zu geben, unser Interesse. Beide kann man nur richtig kennen lernen, wenn man ihnen nicht nur einen flüchtigen Blick schenkt, sondern versucht, sie zu verstehen.

Bäche zeigen einem - besser als Menschen es könnten - wie die Natur ihre Zauberkünste mit Farben und Tönen zustande bringt. Im Sommer, wenn der Abend kommt und die Insekten zum letzten Tanz ausschwärmen, wird die Stimme eines Baches deutlicher und die Vögel lassen ihre schönsten Lieder hören. 

Geheimnisvoll aber wird ein Bach erst im Winter, wenn Nebelschwaden von fahler Sonne durchdrungen, den Blick auf schemenhaft glitzerndes Eis und den Rauhreif auf kahlen Weidenbüschen freigeben.   

Bäche offenbaren nicht nur die Geheimnisse der Natur. Sie helfen auch dabei, die Menschen sich annähern zu lassen, weil sich an ihren Ufern viel ungezwungener bewegt wird als auf der menschenübersäten Promenade eines großen Stromes.

Kleine Wasserläufe haben kleine Pflichten - so wie die Kinder. Von Bächen verlangen wir nur, sich durch die Landschaft zu schlängeln und Felder, Bäume und Büsche an ihren Ufern grün zu halten und manchmal das Rad einer kleinen Wassermühle anzutreiben. Zum Lohn erfreuen sie uns selbstlos durch ihre natürliche Schönheit und Ausgeglichenheit - wenn wir ihnen den nötigen Raum zum "Atmen" zuzugestehen. Klicken Sie die Schrift des jeweiligen Fotos an, wird es vergrößert dargestellt. 

Ein kleiner Bach im Wendland


Der Wasserbaum speist eine kleinen Bach in Ockensen.


Eine der Pader Quellen mitten in Pderborn


Der Rössingbach, gestaut vor dem Mühlenwehr


Im Park von Bad Harzburg, ein lebhafter, kleiner Bach


Im Wendland, ein für mich namenloses Wiesenbächlein.


Die Oker - zum Bach geworden, seitdem die Staumauer ihr das Wasser entzieht


Ein Bach, irgendwo in Ostwestfalen.


Ein Bach in im Sauerland.


Ein Bach in einem Schloßgarten in der märkischen Schweiz


Die Oker - oder das, was von ihr übrig ist...


Namenloses Bächlein in der Nähe der Weser. Der Ort ist mir entfallen.


Ein Wiesenbach bei Gorleben


Ein Zufluß zur Ilmenau in Lüneburg


Bad Harzburg


Der Rössingbach, gestaut und im Winter


Der Rössingbach, wenn man ihm die Zügel zu sehr anzieht...Sommer 2017


Und auch hier der Rössingbach. Das rechte Bachbett ist die Straße.



 
 
 
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