Transportieren sie viel Wasser, atmen sie stärker, und wenn ihnen der Platz dazu genommen wurde, verlassen sie ihr Bett, überfluten Straßen, setzen unsere Keller unter Wasser und umfließen die ihnen von uns verordneten Brücken und Hindernisse.
So, wie im vergangenen Sommer. Doch trotz dieser seltenen Ereignisse sind Bäche ihrem Wesen nach friedlich. Nimmt man sich die Zeit, sie zu verstehen, muss man hinhören. Sie reden laut oder leise und mancher Bach, dessen Wasser sich seinen Weg im steinigen Bett sucht, klingt - wenn man genau zuhört - für manchen wie Musik. Ein Mühlenwehr verrät durch die Lautstärke des fallenden Wassers die herrschende Stimmung, welche heute wild sein kann und morgen schon zum einschläfernden Rauschen geworden ist.
Bäume reden auch viel. Oft sind sie sogar mit unseren stärksten Gefühlen verwurzelt. Unter ihrem Blätterdach ereignet sich manches, dass später zur liebsten Erinnerung wird. Aber wenn ich allein spazieren gehe, zieht es mich ans Ufer eines Baches. Dort finde ich die unaufdringliche Begleitung des Wassers, wenn es plätschernd über kleine Hindernisse springt. In dieser friedvollen Atmosphäre gedeihen flüchtige Ideen zum Projekt. Dann springt die Jugendhaftigkeit des Baches auf mich über und ich notiere in Windeseile, was mich gerade berührt.
Jeder Bach hat seine schönen Seiten. Aber ich glaube, am meisten mögen wir Wasserläufe, die wir gut kennen. Das Rinnsal zum Beispiel, in dessen fast stehendem Wasser wir als Kinder Stichlinge gefangen hatten. Das Bächlein, an dessen Sandgrund sich in glasklarer Strömung Wasserpflanzen wie Engelshaar schlängeln und den Bach, an dessen Ufer wir das erste Veilchen für die Liebste pflückten.
Die Oker als Bach, nachdem eine Staumauer ihr das Wasser verwehrt.
Mit den Wasserläufen ist es, wie mit den Menschen: Die bedeutendsten sind nicht immer die Angenehmsten! Bäche haben jenes Etwas, das man auch beim Menschen findet. Sie wecken schon durch ihre Anwesenheit und die Art sich zu geben, unser Interesse. Beide kann man nur richtig kennen lernen, wenn man ihnen nicht nur einen flüchtigen Blick schenkt, sondern versucht, sie zu verstehen.
Bäche zeigen einem - besser als Menschen es könnten - wie die Natur ihre Zauberkünste mit Farben und Tönen zustande bringt. Im Sommer, wenn der Abend kommt und die Insekten zum letzten Tanz ausschwärmen, wird die Stimme eines Baches deutlicher und die Vögel lassen ihre schönsten Lieder hören.
Geheimnisvoll aber wird ein Bach erst im Winter, wenn Nebelschwaden von fahler Sonne durchdrungen, den Blick auf schemenhaft glitzerndes Eis und den Rauhreif auf kahlen Weidenbüschen freigeben.
Bäche offenbaren nicht nur die Geheimnisse der Natur. Sie helfen auch dabei, die Menschen sich annähern zu lassen, weil sich an ihren Ufern viel ungezwungener bewegt wird als auf der menschenübersäten Promenade eines großen Stromes.
Kleine Wasserläufe haben kleine Pflichten - so wie die Kinder. Von Bächen verlangen wir nur, sich durch die Landschaft zu schlängeln und Felder, Bäume und Büsche an ihren Ufern grün zu halten und manchmal das Rad einer kleinen Wassermühle anzutreiben. Zum Lohn erfreuen sie uns selbstlos durch ihre natürliche Schönheit und Ausgeglichenheit - wenn wir ihnen den nötigen Raum zum "Atmen" zuzugestehen. Klicken Sie die Schrift des jeweiligen Fotos an, wird es vergrößert dargestellt.